Geräuschvoll reisen

Wenn ich von einer der schlimmsten Belästigungen während einer Bahnfahrt schreibe, weiß der routinierte Bahnfahrer (und auch die Bahnfahrerin und all die anderen Geschlechter, die öfter mal mit DB unterwegs sind) sofort, was gemeint ist: Handyterror!

Heute in der 1. Klasse ist es wieder mal soweit. Überwiegend ältere Fahrgäste (1. Vorurteil) und überwiegend Menschen, die nicht nach 1. Klasse aussehen (2. Vorurteil).

Bild von Bella H. auf Pixabay

Auf gleicher Höhe rechts von mir auf der anderen Gangseite die Dame, die ihren Fahrkartenausdruck bis Düsseldorf-Hauptbahnhof nicht aus der Hand legen wird und die sich in Frankfurt/Main/Hauptbahnhof über mich hinweg heftig winkend und Handküsschen wie Aufschläge beim Tennis schmetternd, mehrmals laut „Tschüss“ rufend, von ihrem Liebsten verabschiedet, nachdem dieser ganz aufgeregt gegen „meine“ Scheibe getrommelt hatte, um auf sich aufmerksam zu machen, ohne Rücksicht darauf, dass er damit die Wirksamkeit meines Betablockers gegen Herzrythmusstörungen kurzfristig außer Kraft zu setzen droht. Selbige Dame, die lautest möglichen Tastentöne aktiviert, breitet dann mit einem Stakkato von Whatsapp-Nachrichten einen Klangteppich aus, der begleitet wird von einem Blubb und Plopp und Klick und Klack eines Schlipsträgers rechts vor mir, der in die Welt von „Candy Crush Saga“ eingetaucht ist.

Schräg rechts hinter mir die Oma, die bereits vor der Abfahrt in der Main-Metropole zum ersten Mal mit ihrer Freundin telefoniert, ob das denn mit deren Zustieg in Frankfurt-am-Main-Flughafen-Fernbahnhof (bis dahin sind‘s unendlich lange 11 Minuten) klappen würde. Lautsprecher auf „laut“; sogar auf „sehr laut“ würde ich mal behaupten. Insgesamt sollte sie das noch viermal tun, sodass auch wirklich alle im Waggon sicher sein dürfen, dass die Freundin es schaffen wird.

Einen drauf setzt noch der Russe zwei, drei Reihen hinter mir, der mit seinem Kumpel Sprachnachrichten in Landessprache austauscht und sich jene des Gesprächpartners laut vorspielen lässt. Da beide offenbar -wie vorgeschrieben- eine FFP2-Maske tragen, ist es auch möglich, dass ich hinsichtlich der Nationalität daneben liege. Könnte auch ein Dialekt aus dem Aserbeidschanischen sein.

Die ganze Kackophonie wird ergänzt um permanente Jingles und orginell-lustige Benachrichtigungstöne wie Trillerpfeifen, Fahrradklingeln, Zweifingerpfeifen oder Bierflaschenkronenkorkenöffnungszischen bei eingehenden Nachrichten.

Nicht ganz in die Kategorie „Handyterror“ passend, aber heute zwingend zu erwähnen: Getoppt wird das Ganze ab Limburg dann noch von dem Schmatzen eines pausbäckigen Strahlemanns im Grundschulalter, der unter den strengen Augen seiner Mutter („Du musst zwischendurch auch mal was trinken!“) seinem großzügig bemessenen Vorrat an Käsestangen in Rekordzeit den Garaus zu bereiten gedenkt und die Stangen vor jedem Abbiss in Ketchup taucht.

Inzwischen, nachdem ich sie mehrfach strafend angeguckt habe, flüstert die Oma schräg rechts hinter mir nur noch. Aber das in einer Lautstärke…

Bild von Gerhard G. auf Pixabay

Kurz überlege ich, ob ich vielleicht zu kritisch, zu empfindlich bin. Aber wirklich nur ganz kurz.

Ab Montabaur wird’s ruhiger im Waggon.

Den Russen (Aserbeidschaner?) komplimentiert die freundliche Bahnmitarbeiterin in die 2. Klasse. (Dachte ich mir doch, dass der hier nicht hingehört!) Der Candy-Crusher stellt auf „lautlos“, weil ich jede Bonbon-Reihe, die er zum Platzen bringt, mit einem lauten Seufzer kommentiere und noch vor dem ersten Tunnel auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke übergibt sich der pausbäckige Strahlemann im Grundschulalter nach dem Verzehr einer 175-Gramm-Tüte Kartoffelchips „Funny Frisch Chipsfrisch Chakalaka“ in dieselbe.

Und die Tunnel sorgen schließlich für ein Endes des Handyterrors.

Kein Empfang! Keine Nachrichten, keine Telefonate, kein Pling, Plong, Kreisch, Zadong.

Bis kurz nach dem Tunnel vor Siegburg Bonn/Köln …

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