Public Viewing in Berlin

Zu Wochenbeginn in die Hauptstadt. Ich bin auf das Schlimmste vorbereitet, aber dann angenehm überrascht: keine einzige Schulklasse, kein Politik-Tross, keine Kegelclubs. Allerdings auch kein WLAN und keine Lautsprecher. Wahrscheinlich der Tatsache geschuldet, dass ich im „Ruhebereich“ sitze.

Die Unannehmlichkeiten gleicht die Bahn mit einer kleinen Schmeichelei allerdings locker wieder aus: sie geht davon aus, dass ich für eine Strecke von mehr als 17 Kilometern lediglich 9 Minuten brauche.

Erstaunlicherweise respektieren die Mitreisenden heute die Gepflogenheiten im „Ruhebereich“. Zum Telefonieren geht der eine oder andere sogar vor die (Schiebe-) Tür. Auch die besorgte Mutti, die ihre kleine Tochter am Ohr hat. Beide verständigen sich in einer Lautstärke, die ein bequemes Mithören ermöglicht. Zunächst gibt es eine Gardinenpredigt weil irgendetwas in der Wohnung verschüttet wurde, was sich wohl nicht mehr entfernen lässt. Die Tochter hält aber kräftig dagegen. Und zum Schluss leiden wir auf den Plätzen 11 bis 16 alle mit, als sie schluchzend erzählt, dass sie ausgerechnet am Tag der Bundesjugendspiele nicht zur Schule geht (warum, wird nicht geklärt) und deshalb auch nicht bei der Vergabe der Medaillen, die jeder, unabhängig von der erreichten Punktzahl, erhält, dabei ist. Was hätte ich mich früher gefreut, da nicht mitmachen zu müssen. Auf die Medaillen hätte ich gesch…

Ich gönn mir mal einen Kaffee. 3,00 €. Blöder Preis für Trinkgeld-bedürftiges Personal. Pappbecher, Papp-Banderole als Hitzeschutz, Plastikdeckel, Plastikumrührstäbchen, 2 Tütchen Zucker aus Papier, eine Mini-Papierserviette und 2 Milchtöpfchen aus Plastik mit Alu-Deckel. „Was für ein Müll für so ein vergleichsweise winziges Produkt, denke ich noch, da bricht mein Zimmermannsdaumen durch den Aludeckel der Milchkapsel, deren Inhalt sich in einer Fontäne komplett auf mein Hemd, meine Hose, mein WLAN -loses Notebook und mein WLAN-loses Tablet entleert. Zu allem Überfluss ist es gute, fetthaltige Kondensmilch. Die Konsistenz erinnert auch eher an den guten alten Pelikanol-Kleber. Mit der Mini-Papierserviette ist da nix zu machen. Also: trocknen lassen und später abkratzen. Zum Glück hat’s sonst keiner gesehen, wie ein rascher, unauffälliger Blick in die Runde bewies. Und zum Glück war das WLAN-lose Notebook zugeklappt und die Tastatur Kondensmilch-frei geblieben.

Mit Blick auf die mir von der Äpp zugetraute Spurtfähigkeit, kommt der ICE blöderweise mit neun Minuten Verspätung exakt zur Abfahrtszeit meines Anschlusszuges an. Von Berlin Hbf „tief“ über drei Etagen nach „hoch“, das schafft man selbst gebeamt nicht.

Hierhin zieht‘s viele der anreisenden Schulklassen. Das A&O Hostel Mitte. 8 Etagen, 480 Zimmer, ab 9,00 € pro Nacht.

Am Mittwoch spielt Deutschland das letzte Vorrundenspiel dieser WM gegen Südkorea. Nach der Niederlage gegen Mexiko und dem knappen Sieg gegen Schweden ist eine Blamage immer noch drin. Am Brandenburger Tor ist alles fürs Public Viewing vorbereitet, Erinnerungen an den Weltmeister-Empfang 2014 werden wach.

Blöd nur: das Spiel beginnt um 16:00 Uhr, mein Flieger startet um 17:20. Hoffentlich gibt’s am Flughafen eine Leinwand.

Schlimmer geht immer

Allerdings! Ein Verkehrschaos wie in New York. An der Bushaltestelle „Friedrichstraße/Unter den Linden“, wo der „TXL“ zum Airport Tegel abfahren soll, kommen eine halbe Stunde lang nur Busse der Linien 200 und 100 an, bevor ich einen Busfahrer frage, wann denn der Bus zum Flughafen komme. „Heute jar nisch mehr! Steijense ein, junger Mann, und fahrnse übern Hauptbahnhof.“ Hätt ich lieber sein lassen sollen. Für die 500 Meter bis zum Brandenburger Tor brauchen wir 25 Minuten. Dahinter beginnt die das Verkehrschaos verursachende Fan-Meile. Deutschland spielt um den Einzug ins Achtelfinale.

Bei schwülen 27 Grad geht’s im Laufschritt rüber zum Hauptbahnhof. Hemd und Hose kleben am Körper. Quer durch den Glaspalast, hinten wieder raus und gerade noch einen TXLer, voll gequetscht mit Menschen und Koffern, abfahren sehen.

Es dauert weitere 15 Minuten bis der sich um die nächste Straßenecke gequält hat und außer Sicht gerät. Der nächste Bus will einfach nicht kommen. In meinem Kopf flippern die Alternativen zwischen den Synapsen hin und her. Taxi? S-Bahn zum Bahnhof Zoo? Flug sausen lassen, Zug nehmen?

Die Antwort gibt die Realität: Taxis gibt’s keine, dafür ca. 80 wartende Kunden. Für den Umweg über Zoo ist es zu spät. Der Flug ist nicht mehr zu erreichen. Also Ticket am Automaten. 5 Stunden Heimfahrt.

Im Zug genügend freie Sitzplätze. Erstaunlich. Da hat das Chaos wohl noch mehr Menschen unerwartet getroffen. Das „Wlan-on-ICE“ ist natürlich ungeeignet für’s Streaming. Fußball findet heute ohne mich statt. Dann kommt die freundliche Bahnmitarbeiterin, die jeden hingehalteen Fahrausweis mit einem neckischen „Das sieht gut aus!“ kommentiert, manchmal auch mit „Das sieht sehr gut aus!“

Nur meinen nicht!

Ich sitze im ICE und habe nur ein IC-Ticket am Automaten gezogen. Die lustige Bahnmitarbeiterin übersieht es ebenso großzügig wie sie es lautstark -für den kompletten Waggon- hörbar kommentiert. „Kann schon ‚mal passieren, gell!?“ DEn Nachsatz „in Ihrem Alter.“ verkneift sie sich offensichtlich.

Damit wird dieser Tag endgültig als „gebraucht“ eingestuft.

Deutschland verliert 0:2 gegen Südkorea und scheidet seit 1938 zum ersten Mal in der Vorrunde aus einer WM aus.

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